„Unser Pferd“, seufzte Fernanda, „macht mir in letzter Zeit ernsthaft Sorgen.“
„Inwiefern?“, erwiderte Lola. „Wie meinst du das?“
„Es erweckt den Eindruck, als ob bald einzelne Stücke von ihm abbrechen würden. Ich bezweifle, dass ihm das guttun wird.“
„Unsinn!“, rief Lola. „Das habe ich noch nie gehört, dass von irgendeinem Pferd irgendwelche Stücke abgebrochen sind. Unser Pferd ist kerngesund, in keiner Weise brüchig, sondern sehr elastisch.“
In diesem Moment brach von dem Pferd das erste Stück ab und fiel krachend zu Boden.
„Siehst du?“, sagte Fernanda. „Ich habe es gewusst!“
„Du hast es gewusst“, räumte Lola ein. „Ich finde das alles gar nicht gut.“
„Dadurch, dass jetzt ein Stück fehlt, sieht es nur noch aus wie ein Pfer.“
„Es wird nicht leicht mit einem Pfer“, bestätigte Lola. „Unsere Gastreiter werden murren. Ein Pfer, werden sie sagen, ist uns nicht zumutbar. Wir haben den vollen Preis bezahlt.“
Ganz plötzlich fiel von dem Pfer ein weiteres Stück ab, diesmal an der Vorderseite.
„Oh mein Gott, wo soll das bloß hinführen?“, rief Fernanda. „Jetzt ist es nur noch ein fer.“
„Entsetzlich!“, bestätigte Lola. „Auf einem fer kann niemand anständig und ohne Einschränkung reiten. Wir werden über Reitbeteiligungen nachdenken müssen.“
„Hoffentlich“, seufzte Fernanda, „geht uns nicht bald das Geld aus fürs Futter.“
„Da sehe ich kein Problem“, erwiderte Lola. „Unser fer kann gar nichts mehr fressen, weil ihm vorhin ja auch das Maul abgefallen ist.“
„Wenn die Gastreiter kommen“, schlug Fernanda vor, „tun wir einfach so, als ob unser fer immer noch ein Pferd wäre. Vielleicht merken sie gar nichts.“
„Ja, vielleicht“, sagte Lola. „Wir sollten auf jeden Fall das Licht in der Reithalle dimmen.“
Fernanda nickte.
Von dem fer brach ohne weiteres Vorzeichen abrupt und krachend ein weiteres Stück ab.
„Jetzt haben wir nur noch ein fe“, schluchzte Lola. „Auf dem wird wohl niemand reiten wollen, allein schon deshalb, weil es so gefährlich ist, weil man sich auf dem fe nirgendwo richtig festhalten kann.“
In diesem Augenblick betrat ein fröhlicher junger Mann die Stallungen und erblickte die beiden Frauen und ihr fe.
„Mein Name ist Hubertus Kuttelschreck“, stellte er sich vor. „Ich bin stets auf der Suche nach perversem Reitvergnügen. Mir scheint, hier bin ich richtig. Was haben Sie denn da für ein originelles Tier?“
„Ein fe“, sagte Fernanda betrübt. „Alles andere ist leider herunter gefallen.“
„Ich möchte ihr fe gern probereiten!“, rief Hubertus Kuttelschreck. „Vielleicht will ich es kaufen, ach was, ich kaufe es auf jeden Fall!“
„Schalt das Licht in der Reithalle ein!“, sagte Fernanda lachend zu Lola. „Und dimmen musst du es nicht!“
Kuttelschreck, der sich zuerst nur mit Mühe im Sattel hielt, zwang das fe in die Halle und ließ es dort traben und galoppieren, was einigermaßen ulkig aussah, weil an dem fe doch wesentliche Teile fehlten.
Fernanda und Lola applaudierten begeistert. Allmählich kristallisierte sich heraus, welch geschickter und geradezu tollkühner Reiter Hubertus Kuttelschreck war. Er beherrschte das fe nach Belieben und vollführte auf und mit ihm atemberaubende Kunststücke.
Als er nach über einer Stunde endlich abstieg, stellte er Fernanda und Lola einen so großzügig dotierten Scheck aus, dass sie sich von dem Betrag nicht nur ein neues Pferd, sondern gleich ein halbes Dutzend edler Rösser leisten konnten.
„Sie sind so überaus spendabel“, schwärmte Fernanda, „dass wird Ihnen selbstverständlich auch die von dem fe abgefallenen Teile mitgeben möchten.“
„Danke, aber die brauche ich nicht“, sagte Kuttelschreck fröhlich. „Ich könnte sie auch gar nicht transportieren.“
Es stellte sich heraus, dass er mit einer Beiwagenmaschine unterwegs war, in der er das fe problemlos unterbrachte. Er bedankte sich noch einmal höflich und knatterte davon.
Fernanda und Lola bekamen weiche Knie, weil das Schicksal es so gut mit ihnen gemeint hatte. Zur Feier des Tages köpften sie mehrere Flaschen Champagner und betranken sich hemmungslos.
Als sie wieder nüchtern waren, fuhren sie sofort zum Rossdiskonter nach Wiehersbach, wo sie das teuerste Pferd erstanden, das der Markt im Angebot hatte. Zur Sicherheit ließen sie zwischen den einzelnen Teilen des Tieres zusätzlich Titanverstrebungen montieren, damit es nicht gleich wieder auseinander fiel.
Den Rest des Geldes legten sie auf die hohe Kante, auf ein Sparbuch mit dem mickrigen Zinssatz von 0,0005 Prozent. Weil Fernanda und Lola aber beim Erhalt des Geldes so viel Glück gehabt hatten, beklagten sie sich nicht laut, sondern spuckten nur verstohlen auf den Fußabstreifer vor der Bank.
Michael, 31.März 2023
Titanverstrebungen, so so. Na, wenn das mal hält…
Wenn es in der Mitte auseinanderbrechen würde, könnte man vielleicht beide Teile als Zweibeiner weiter nutzen: Ein Pf und ein Erd.
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