Der Anästhesist Schlappner, der alles Schriftliche und auch die Buchstaben selbst zeit seines Lebens gehasst hatte, wurde gegen Ende seiner Berufslaufbahn mit einer zusätzlichen Aufgabe betraut, nämlich der eigenverantwortlichen Beschaffung der Narkosemittel, weil sich aufgrund der anhaltenden Personalknappheit niemand sonst mehr fand, der bereit war, das Bestellwesen abzuwickeln. Wegen des nervtötenden Schreibkrams prokrastinierte Schlappner die Beschaffung neuer Mittelvorräte regelmäßig, so lange es nur irgendwie ging, und bestellte immer erst auf den letzten Drücker.
Eine Zeitlang ging alles gut, doch irgendwann um seinen Geburtstag herum wurde Schlappner so leichtsinnig, dass er gar nichts mehr orderte und prompt eine Notoperation hereinbekam, im Rahmen derer einer alten Bäuerin, die gestolpert war und sich eine Mistgabel ins Gekröse gerammt hatte, ein künstlicher Darmausgang gelegt werden sollte.
Schlappner, der nichts mehr da hatte, mit dem er die Patientin in eine Narkose versetzen konnte, überlegte verzweifelt, wie er die Situation und dadurch indirekt auch die Bäuerin retten konnte. Schließlich fiel ihm ein, dass sich im Stationskühlschrank noch eine Flasche Champagner befand, die die OP-Schwester Kriemhild, die ihn schon lange heimlich verehrte, ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Er entkorkte die Flasche, füllte das eiskalte Getränk in einen Infusionsbeutel um und ließ es der Bäuerin über einen eilig gelegten Zugang direkt in die Venen laufen.
Zu Schlappners Glück bekam niemand von seinen Kollegen etwas davon mit. Als er am nächsten Tag bei Dienstantritt zum Primar zitiert wurde, fürchtete Schlappner das Allerschlimmste. Womöglich würde er für seinen Lapsus sogar entlassen werden, obwohl er kurz vor der Rente stand.
Zu seiner Überraschung machte ihn der Primar nicht zur Schnecke, sondern bot ihm eine handgerollte kubanische Zigarre und das Du-Wort an.
Völlig verdattert fragte Schlappner, wie er zu einer solchen Ehre käme.
Die alte Bäuerin, sagte der Primar, sei aus der Narkose erwacht und habe bekundet, dass das, was sie im Verlauf ihrer Operation erlebt habe, das Schönste gewesen sei, das ihr je widerfahren sei. Sie habe sich in einer Art prickelndem Rausch befunden, der ihren ganzen Körper erfasst und ihr höchste Wonnen geschenkt hätte. Sie wolle unbedingt so bald wie möglich auch auf der anderen Seite einen künstlichen Darmausgang legen lassen, damit sie noch einmal operiert würde.
„Seien wir doch ehrlich“, sagte der Primar zu Schlappner und saugte an seiner Zigarre. „Das kommt von dem Champagner, den du ihr in die Venen geleitet hast. Tolle Idee, könnte von mir sein!“
„Danke!“, erwiderte Schlappner. „Aber was genau habe ich jetzt davon?“
„Ich werde für dich die Beschaffung der Narkotika übernehmen.“
„Das heißt, ich kann mich wieder voll aufs Einschläfern konzentrieren“, sagte Schlappner, „und muss mich nicht länger mit dem Papierkram herumschlagen?“
„Ganz genau“, bestätigte der Primar, „und weil Champagner immer noch weit weniger kostet als herkömmliche Narkotika, werden wir der Verwaltung die Meldung des Austauschs unterschlagen und in unsere eigenen Taschen wirtschaften und die eingesparten Beträge brüderlich teilen, im Verhältnis Fifty-fifty versteht sich.“
Schlappner zog glücklich hustend an seiner Zigarre.
„Das Leben kann so schön sein!“
Die Abmachung, die die beiden Ärzte getroffen hatten, entwickelte sich zu einem vollen Erfolg. Bald ließen sich auch Patienten von weit außerhalb in dem Krankenhaus operieren, dessen sensationelle Narkosemethode sich durch Mundpropaganda bis ins benachbarte Ausland herumsprach, obwohl niemand genau wusste, worin das Geheimnis eigentlich bestand. Schlappner und der Primar wurden so reich, dass sie sich vierteljährlich jeweils neue Maseratis gönnten.
Nur einmal, als Schlappner plötzlich bewusst wurde, dass die Bäuerin Hinteregger sich mittlerweile zwölf Mal einen künstlichen Darmausgang legen und wieder entfernen hatte lassen, nur um nach der Champagnermethode von ihm narkotisiert zu werden, wurde er ein wenig nachdenklich und es schmeckte ihm seine Zigarre nicht mehr.
Nachdem er eine Zeitlang ratlos herumgepafft und schließlich die Marke gewechselt hatte, war aber wieder alles im Lot und er betäubte weiter wie bisher.
Michael, 14. April 2023.