Es war Ende April, wechselhaftes Wetter, eigentlich so wie immer, nur Frau Twella ahnte, dass etwas nicht stimmte. Der Regen schmeckte den ganzen April schon nach Champagner, der Staub am Straßenrand roch nach Zucker und auf den Wiesen waren aus den Maulwurfshügeln herrliche Couscous-Gerichte geworden. Frau Twella hatte bisher noch keinem davon erzählt und beschloss, Gäste einzuladen. Diesen würde sie Champagner aus der Regentonne kredenzen, den Couscous von der Wiese aufwärmen und den Kuchen mit Staubzucker vom Straßenrand garnieren. Es kamen mehr als zehn ausgewiesene Feinschmecker und Gourmets. Den Champagner empfanden sie als besonders süffig, den Kuchen raffiniert und der Couscous wäre überhaupt das Beste, den sie je gegessen hätten. Frau Twella war zufrieden und beschloss ein kleines Gasthaus zu eröffnen. Schließlich würde das ihre mickrige Rente etwas auffetten und die Einkaufskosten gingen gegen Null. Sie gab sich viel Mühe, um das kleine gepachtete Haus an einer viel befahrenen Straße herzurichten. Für die Eröffnung hatte sie mit Gratis-Champagner Werbung gemacht. Die Schönen und Reichen hatten davon erfahren und schütteten den Champagner in Mengen hinunter. Der Couscous neigte sich fast zu Ende, so hungrig waren die Gäste. Am späteren Abend fuhren drei Bauarbeiter nach Hause und sahen die Werbung. Als sie eintraten, bekamen sie sofort Champagner. Alle drei spuckten das Gesöff aus und fragten Frau Twella, ob mit ihr etwas nicht stimmen würde. Beim Couscous wiederholte sich das Spiel, diesmal fluchten sie schon heftig und wollten schon fast auf die Nachspeise verzichten. Als sie mit dem Kuchen kam, standen sie auf und verließen wortlos das Lokal. Frau Twella ging nächsten Tag zum Arzt und erzählte ihm vom Champagner und den anderen Dingen. Nach einer Blutabnahme war relativ schnell klar, dass Frau Twella ihr Geschmacks- und Geruchssinn aufgrund der Nachwirkungen einer Viruserkrankung gehörig durcheinander gekommen war. „Aus der Traum“, dachte sie und schloß noch in der gleichen Woche ihr Gasthaus. Sie wollte eigentlich diesbezüglich die Sache auch auf sich beruhen lassen, wären nicht zahlreiche Gourmets so aufdringlich gewesen, dass sie doch noch ihren hauseigenen Champagner herstellen musste. In der regenreichen Aprilzeit in der Champagne kann sie nun soviel Champagner herstellen, dass dieser dann bis Ende Herbst reicht. In weiten Teilen der Bevölkerung ist ihr Champagner als besonders grausliches Gesöff verschrien, aber was weiß das einfache Volk schon von den Gourmetfreuden der Elite.
Harald, 28. April 2023.
Fein beobachtet. Da gab es doch mal einen Kaiser, dessen nicht existierende Kleider jeden in Verzückung…
LikeGefällt 1 Person
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Manche glauben wohl immer noch, dass der Kaiser in schönstem Gewand gekleidet ist. Die Wahrheit tut manchmal weh, ist auch nicht einfach, aber dann doch zumutbar.
LikeGefällt 1 Person