Champagner zum Frühstück

Es war 09.35 am 19. Mai 1920 und es zeichnete sich mal wieder in mehrfacher Hinsicht ein Ende ab. Das dritte Champagnerglas um diese Zeit wäre ein Unding, monierte sich seine Frau. „Unding, Unding, ein Unding ist diese demokratische Republik. Das Recht geht vom Volk aus, wo kommen wir denn da hin?!“, antworte Rudolf. „Zumindest besser als diese schwachsinnige Monarchie, wo sogar ein Trottel wie du es zu etwas gebracht hat“, schmetterte seine Frau zurück. Er schenkte sich das vierte Glas ein, trank es aus und war sich sicher, dass das fünfte Glas keinesfalls ein Unding ist. Seine Frau verließ das Haus, um sich von einem Anwalt betreffend der Scheidung beraten zu lassen. Rudolf unterbrach das Trinken nur, um die junge Dienstbotin wieder einmal zu beglücken, wobei das Glück eher auf seiner Seite war. Seine Frau kam Gottseidank erst kurz danach wieder nach Hause und schüttelte nur den Kopf über den Zustand ihres Gatten. Sie begrüßte ihn mit den Worten „Ich lasse mich scheiden“. „Prost“, war seine kurze Antwort. Er holte ihre Koffer, um ihr beim Packen zu helfen. „Hier liegt ein kleiner Irrtum vor, du packst deine Koffer“, klärte sie ihn auf. Mit einem Schlag war er wieder nüchtern und konnte sich entsinnen, dass er damals aus steuerlichen Gründen die Villa auf seine Gattin übertragen hatte. „Ich zahle keinen Unterhalt“, brüllte er während er seine Utensilien fein säuberlich in die Koffer verstaute. Auch hier sollte er nicht Recht behalten. Die Dienstbotin war doch sehr gesprächig und so konnte die Verschuldensfrage sehr schnell eindeutig beantwortet werden. Rudolf war flexibel genug, um beim Fallen wieder im Stehen aufzukommen. Als einer der ersten Staatssekretäre der neuen Republik und Verfechter der Demokratie konnte er sein Ansehen schnell wieder herstellen. Der Champagner am frühen Morgen störte seine beiden Sekretärinnen nicht im Mindesten, im Gegenteil verwiesen sie oft auf seine außerordentlich gute Laune bereits am Morgen. Dass auch diese Regierung nicht lange halten sollte, war Rudolf auch egal, er würde auch in der nächsten wieder gebraucht werden. Von Reportern öfter auf seinen übermäßigen Champagnerkonsum angesprochen zitierte er stets Noel Coward: „Warum ich Champagner zum Frühstück trinke? Macht das nicht jeder?“

Harald, 5. Mai 2023

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