Schiffstaufe nach afrikanischer Sitte

Einmal wurde die afrikanische Schönheitskönigin Jasira, die in Paris lebte, gebeten, in Algier eine Schiffstaufe vorzunehmen. Ihr Agent, den sie in solchen Dingen für gewöhnlich um Rat fragte, empfahl ihr eine Zusage. Es handle sich bei dem Schiff um einen Kakaobohnenfrachter für ausschließlich fair gehandelte Ware, was dem Image einer Schönheitskönigin mit Sicherheit zuträglich sei. Jasira, die insgeheim lieber bei ihren Modeschauen in Paris geblieben wäre, sagte seufzend zu. Allerdings wolle sie einen Tag früher fliegen und sich das Schiff inkognito zuerst ansehen, bevor sie es taufe. Der Agent nickte, besorgte zwei Flugtickets nach Algier und bestellte ein Taxi zum Flughafen Charles DeGaulle.

In Algier setzten sie ihre Sonnenbrillen auf und machten sich im Hafen auf die Suche nach dem Bohnenfrachter, den sie bald an einem Pier fanden. Es handelte sich um ein hässliches, unförmiges, graubraunes Schiff. Wenn sie gewusst hätte, worauf sie sich da einlasse, klagte Jasira, hätte sie niemals ihr Einverständnis gegeben. Das Schiff, warf ihr Agent ein, werde aber immerhin nach afrikanischer Sitte getauft. Das würde von der Presse als ein Signal wahrgenommen für ihre Vorbildwirkung als selbstbewusste afrikanische Frau.

Sie sehe sich zwar auch als eine selbstbewusste afrikanische Frau, erwiderte Jasira, sie wisse aber leider gar nicht, wie man ein Schiff nach afrikanischer Sitte taufe. Der Agent erklärte es ihr. Sie müsse einen großen Schluck Palmwein nehmen und fünfmal gegen die Bordwand spucken. Er habe vorsorglich eine Flasche Palmwein besorgt; sie könnten es also gleich üben. Sie postierten sich am Pier so nahe es ging an der Bordwand.

Der Agent öffnete die Flasche und reichte sie Jasira, die einen tiefen Schluck nahm, den sie allerdings sofort wieder ausspuckte. Der Palmwein, schimpfte sie, sei das ekelhafteste Getränk, das ihr je untergekommen sei. Sie wolle es nie wieder in ihrem Mund schmecken, geschweige denn in fünf Tranchen gegen die Bordwand eines hässlichen Bohnenkahns spucken.

Das habe er befürchtet, erklärte der Agent. Deswegen sei er entsprechend vorbereitet. Er werde die leere Palmweinflasche einfach mit Champagner füllen. Das bekomme von den Ehrengästen niemand mit. Dieser Vorschlag gefiel Jasira ausgezeichnet. Champagner wolle sie liebend gern gegen eine Schiffsbordwand spucken, wie eigentlich alles, was kein Palmwein sei.

Dennoch müsse sie üben, mahnte der Agent. Die Bordwand sei wegen des vorgeschriebenen Sicherheitsabstands nämlich gar nicht leicht zu treffen. Als Übungschampagner habe er ein paar Flaschen Pommery Brut Royal mitgebracht, der vielleicht ein bisschen weniger exklusiv sei als andere Marken. Er lockerte den Korken der ersten Flasche und ließ ihn gegen die Bordwand knallen. Sie müsse den Champagner an die selbe Stelle spucken, sagte der Agent zu Jasira.

Sie nahm einen tüchtigen Schluck Pommery und versuchte ihr Glück. Fünfmal spuckte sie kraftlos ins Wasser zwischen Pier und Bordwand. Sie schaffe es einfach nicht, sagte sie dann zum Agenten, die Spuckdistanz sei zu groß für sie. Es könne doch nicht so schwer sein, entgegnete der Agent. Er wolle es selbst versuchen. Er spuckte, aber es gelang ihm auch nicht besser als der Schönheitskönigin.

Nun hätten sie in der Tat ein Problem, räumte der Agent ein. Vielleicht seien sie beide einfach nicht locker genug. Ein Schluck Champagner, getrunken, nicht gespuckt, sagte Jasira, könne womöglich Abhilfe schaffen. Der Agent lobte die Idee. Jasira trank eine ansehnliche Menge Champagner und behielt den letzten Schluck im Mund. Dann spuckte sie wieder fünf Mal in Richtung Bordwand. Fast schon getroffen, lobte der Agent. Man sehe jedenfalls deutliche Fortschritte.

Jasira trank kurzerhand die Flasche leer und versuchte es gleich noch einmal. Sie traf wieder nicht. Der Agent öffnete die nächste Flasche Pommery. Er wolle auch noch einen Versuch machen. Er trank die halbe Flasche und spuckte dann. Auch er traf das Schiff abermals nicht.

Jasira wollte nicht aufgeben. Sie leerte die Flasche und spuckte dann wieder erfolglos ins Wasser. Es sei ein Scheißschiff, lallte sie dann. Sie könne es nicht treffen, weil es einfach nicht stillhalte. Der Agent stimmte ihr laut grölend zu, nachdem er ein weiteres Mal getrunken und vergeblich gespuckt hatte. Das Scheißschiff müsse aufhören zu zappeln. Aber sie würden es schon noch müde spucken. Pommery sei jedenfalls noch genug da.

Jasira machte unbeirrt weiter. Sie trank, spuckte und fluchte. Dem Agenten ging es genauso. Irgendwann brach die Dämmerung herein. Schließlich wurde es Nacht. Jasira und der Agent tranken weiterhin, spuckten, scheiterten und fluchten. Allmählich ging der Champagner zur Neige.

Plötzlich gingen grelle Lichter an. Scheinwerfer der Hafenpolizei wurden auf das lautstarke Duo gerichtet. Ein Kamerateam, das von der Angelegenheit Wind bekommen hatte, filmte alles mit.

„Sie haben uns umzingelt“, schrie Jasira sturzbetrunken. „Aber einen Versuch mache ich noch! Scheißschiff, ich taufe dich auf den Namen Scheißschiff!“

Sie trank den letzten Schluck Pommery und spuckte ihn mit ungeheurer Eleganz in den fünf vorgeschriebenen Tranchen gegen die Bordwand. Dann sank sie müde zusammen und schlief sofort ein.

„Fragen Sie mich, was Sie wollen!“, sagte der Agent zu den Reportern, die ihn interviewten, während er von der Hafenpolizei verhaftet wurde. „Ich bin ihr Agent.“

Die Bilder gingen um die Welt. Und weil bei der Schiffstaufe nach afrikanischer Sitte der erste gelungene Versuch für alle Zeiten zählt, hieß der hässliche graubraune Kakaobohnenfrachter nun Scheißschiff.

Die für den Folgetag geplante offizielle Taufe entfiel. Jasira und ihr Agent bekamen jede Menge Publicity und verdienten sich an Teilnahmen an zahllosen Talkshows, zu denen sie rund um den Globus eingeladen wurden, dumm und dämlich.

Irgendwann einmal viel später, als sie zu Hause in Paris vor dem Fernseher saßen und sich erholten, sahen sie einen Bericht von einem Frachter, der im Suezkanal steckengeblieben war.

„Sieh nur“, sagte Jasira aufgeregt zu ihrem Agenten und deutete auf den Bildschirm. „Das Scheißschiff blockiert den Kanal!“

Michael, 5. Mai 2023

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