Champagner in Vitrinen

„Du Angeber“, murmelte seine Frau. Viktor hatte im großen Esszimmer eine Vitrine, in der er teure Champagner ausstellte, die er sich kaum leisten konnte. „Trinken, nicht schauen“, führte kopfschüttelnd Gloria weiter aus. Viktor kannte bereits ihre Tiraden gegen seine Champagner-Vitrine, die er sich von einem Tischler maßfertigen ließ und ignorierte diese geflissentlich. Für sein neues Projekt konnte er sich schließlich nicht mit solchen Peanuts aufhalten. Er arbeitete monatelange, auch nächtens und machte ein großes Geheimnis daraus, um was es sich handeln würde. Seine Frau war ganz froh über seinen Arbeitseifer, hatte sie so mehr Zeit für ihre Hobbys. Vor allem die Theaterabende mit Franz wollte sie nie mehr missen. Franz war im Gegensatz zu Viktor eloquent, weltoffen und kulturell bewandert. Dass er auch nach den Theaterabenden seine Qualitäten besaß, war Gloria nicht unwichtig, da Viktor sich auch hier eher auf das Schauen verlegt hatte. Franz verfügte auch noch über ein regelmäßiges Einkommen als Beamter im gehobenen Dienst, was Gloria dazu brachte, die Scheidung einzureichen. Sie hoffte auf das Einvernehmen von Viktor und wollte zumindest den Wert der halben Wohnung in bar erhalten, viel mehr Vermögen gab es leider nicht. Viktor zierte sich zu ihrer Überraschung gar nicht, sondern ließ die Scheidungspapiere von seiner Anwältin bereits in der selben Woche an Gloria übermitteln. Sie glaubte, dass es sich um einen Irrtum handeln würde, den aber Viktor bereits mit seiner Unterschrift absegnete. Der Überweisungsbetrag ergab tatsächlich den Wert der kompletten Wohnung. Gloria konnte es Recht sein, auch wenn Viktor nun endgültig den Verstand verloren hatte. Viktor verkaufte wie von Gloria erahnt nur kurze Zeit später die geräumige Wohnung im zweiten Stock des ansehnlichen Hauses. Leider klappte es für Gloria mit Franz nach einigen Monaten nicht mehr so gut. Der Beamte war doch langweilig, die Eloquenz bestand aus Wiederholungen und die Weltoffenheit endete im 7. Wiener Gemeindebezirk. „Zurück zu Viktor“, dachte Gloria, packte am Nachmittag ihre Koffer und hatte auch bereits Viktors neue Adresse herausgefunden. Sie nahm ein Taxi und ging dann die letzten Meter zu Fuß. Sie stand vor einer großen Villa, als sich das Tor öffnete und sie ein Motorengeräusch vernahm. Aus einem Ferarri – Cabrio, genauer gesagt aus einem Ferrari 458 Spider Speciale, lächelte ihr Ex-Mann. Am Beifahrersitz saß eine junge Frau, die vermutlich von einem Vogue-Cover stammte. „Was machst Du hier?“, frage Viktor Gloria erstaunt. „Das mit Franz funktioniert doch nicht ganz so“, gab sie unbedacht zur Antwort. Die Vogue-Frau lächelte, küsste Viktor, fuhr ihm mit der Hand zwischen die Beine und meinte: „Das mit Viktor dafür umso besser“. „Es tut mir leid, aber wir müssen nach Cannes, Filmfestspiele im Mai, du weißt ja“, legte Viktor nach. Gloria drehte sich um und wußte, dass irgendetwas gehörig schief gegangen war. Ihre späteren Recherchen ergaben, dass Viktor eine virtuelle Champagnervitrinen-App erfunden hatte, in der Superreiche virtuellen Champagner bestellen und in virtuellen 3D-Vitrinen zu Hause ausstellen konnten. Diese verkaufte er dann um 450 Millionen Dollar an einen amerikanischen Tach-Konzern. In einer Maiandacht hatte Gloria die Eingebung, das gleiche mit Büchern in Vitrinen zu versuchen. Trotz vieler Proteste bekannter Autorinnen und Autoren wurde auch diese App ein Erfolg und sie konnte nach dem Verkauf mit 120 Millionen Dollar das Auslangen finden. Viktor traf sie danach nur mehr gelegentlich auf ein paar Gläser Champagner und sie tauschten sich mit wirklich diebischer Freude über die neuesten Bücher aus.

Harald, 19. Mai 2023

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